Vogesen 2019: Eine erlebte Urlaubsgeschichte in einer bisher nie erlebten Welt und Dimension

„Aleee Typee“ Zigeunerwagen Vogesen

Kein Platz für die hochkultivierte Konsumgesellschaft

Am Ziel angekommen wurden wir mit unserem neuen Zuhause vertraut gemacht und merkten alsbald, dass das Zigeunerleben nicht viel Platz für die hochkultivierte Konsumgesellschaft bietet und auch erst recht nicht benötigt. So gut es eben ging wurde alles verstaut und der kleine überdachte Lebensraum gemütlich hergerichtet. Doch mal eben den Zündschlüssel umdrehen gehörte fortan der Vergangenheit an und der Motor zur Abfahrt musste uns freilich erst noch bekannt und im Umgang vertraut gemacht werden. Dieses süße 1PS starke Wesen zur Fortbewegung unseres Mikrokosmoses, welches man uns vorstellte hörte auf den Namen Typee und ist ein französisches Kaltblut. An Schönheit nicht zu überbieten war es Liebe auf den ersten Blick. Mein bisheriger Kontakt zu Pferden bestand darin, dass ich als junger Mann vor 40 Jahren ein solches auf der rechten Seite bestieg und 2 Minuten später auf der linken Seite wieder unfreiwillig abgestiegen bin, also mehr abgefallen als abgestiegen versteht sich. Demzufolge waren mir diese Tiere sehr suspekt und ich begegnete meiner neuen Herzensdame mit entsprechendem Respekt und Ehrfurcht. Schnell lernten wir den Umgang mit Saumzeug und Zuggeschirr und ich spürte irgendwie, dass Typee mich ebenfalls respektierte, wenngleich ich an ihrem Blick erkennen wollte, dass sie mich als Pferdegreenhorn einstufte und wohl dachte: Mein Gott das kann ja heiter werden, was für ein Greenhorn.

Monsieur Jacky

Unser Horseguide vor Ort hieß Monsieur Jacky und er erklärte uns in perfektem Französisch den genauen Umgang und alle Tücken mit Saumzeug und Halfter, sowie das Einspannen dieses vor Kraft strotzenden stolzen wunderschönen Tieres. Wir sprechen zwar kein Französisch, jedoch verstanden wir mit Händen und Füßen gestikuliert alles was wichtig war, damit es unsere Typee bei uns gut haben sollte. Da ich selbst ein intuitiv gesteuerter Mensch bin, hatte ich alles auch sehr schnell verinnerlicht und es gab vor dem ersten „Aleee Typee“ nur einen Gedanken: Wir schaffen das. So machte ich mich schließlich mit meinen 3 Weibern (meiner Frau Petra, unserer Hündin Cleo und natürlich Typee) auf die ersten Meter unserer insgesamt gut 100km langen Wegstrecke. Die ersten Meter noch von Jacky begleitet und geprüft, dann nach sehr kurzer Zeit eben alleine und unter der Muskel- und Zugkraft unserer lieben Stute. Ich sollte dann sehr schnell merken, dass es in dieser Woche keinerlei Absichten geben sollte, auch nur ansatzweise an irgendeinen Überholvorgang zu denken, geschweige denn in eine Radarfalle zu geraten. Jegliche Hektik war kurzum schier unmöglich geworden. Aus 3000 Umdrehungen pro Minute wurden gemütliche 1,5m pro Sekunde und das sehr synchrone Klacken der Hufe auf dem Asphalt wirkten wie eine frisch durchgezogene Tüte, nämlich sehr entschleunigend und beruhigend zugleich.

Oktoberfestreif

Die sehr liebliche Landschaft, der strahlend blaue Himmel und die Gegenwart meiner 3 hochzufriedenen Damen ließen Gutes erahnen und so steuerten wir unser erstes Etappenziel gemächlich aber hochmotiviert an.Dort gegen Mittag angekommen hieß es dann Abspannen für Typee und Ausspannen für uns alle. Wir errichteten unser erstes Mittagslager und versorgten beide Vierbeiner mit Wasser und Leckereien. Wer schon mal eine Maß Bier auf Ex getrunken hat, wird wahrscheinlich sehr von sich eingenommen sein, jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem er erkennen muss, dass 30 Liter Wasser mal eben wie aus Zauberhand aus einem Eimer in 5 Sekunden verschwunden sind. So zeigte es uns jedenfalls Typee beim ersten Trinken bei der Rast. Was für ein Zug dachte ich, oktoberfestreif. So standen wir dann mit unserem neuen Zuhause inmitten schöner Landschaft auf einem ebenso schönen nostalgischen Wiesenplätzchen und bereiteten unsere erste Zigeunermahlzeit auf dem Wagen zu, welche wir dann in freier Natur in aller Ruhe zelebrierten und genossen.

Keine Gedanken an Arbeit oder laufende Projekte

Unser Erscheinungsbild muss sehr authentisch gewirkt haben, denn wahrhaftige Zeitgenossen zigeunerlicher Herkunft begrüßten uns frenetisch mit offenem Fenster dabei wild winkend und unter Einsatz der Hupe ihres Autos im Vorbeifahren, was mich schon mächtig stolz machte. Ja man hatte uns aufgenommen in die Zunft der Nomaden und Wanderer und vor allem merkte ich die wachsende Zuneigung von Typee. Alles von zuhause war plötzlich weg, keine Gedanken an Arbeit oder laufende Projekte zuhause, keine Probleme waren zugegen nur die Gedanken an das Wohlergehen meiner 3 Damen, das sichere Ankommen am Ziel und natürlich an das leibliche Wohlergegehen aller, einschließlich des Kutschers. Meine Körperpflege in dieser Woche beschränkte sich auf das Wesentliche, in meiner Kutscherkluft und meinem verwilderten Vollbart sah ich aus Hoss Cartwright. Egal, wichtig war die Reinigung und die Pflege meiner 4 Beiner. Cleo die mit sich selbst immer im Reinen ist hatte da recht wenig für sich in Anspruch genommen, es war Typee, die morgens und abends einer gründlichen Striegelung entgegen sah und dies auch sichtlich genau wie ich genoss. Sie vertraute mir sehr und ich dachte bald nicht mehr beim Striegeln an die 900kg, die mal eben Platz auf meinem Fuß einnehmen konnten, wenn es dumm lief.

Hochzufrieden ob meiner Gesamtsituation

In den kommenden Tagen lernten wir die herrliche Landschaft der Region kennen und schätzen und auch die Kontakte zu den einzelnen Menschen an den Raststationen bescherten uns sehr viel Freude, Herzenswärme und leckere Speisen. Die Nächte waren recht kalt und der zum Liegen zu Verfügung stehende Platz war in Anbetracht eines von zuhause gewohnten Bettes von 2×2 Meter mit allem Schnickschnack das nächste Extrem was es zu bewältigen galt. Schnell hatten alle Knochen Kontakt zum baulichen Teil unseres Wagens, was weniger am Eigengewicht, denn mehr an der Dicke der Matratzen lag, welche bei uns als Stuhlauflagen Anwendung fänden, weniger als Matratzen. Aber ein echter Zigeuner kennt keinen Schmerz, dafür war dann die Fahrt tagsüber auf dem Kutschbock ebenso wenig komfortabel, dieser bestand aus einem einfachen Holzbrett und die Rückenstütze war die Holzwand unseres Wagens. Was man sich dabei gedacht hatte, genau an dem Platz wo der Oberzigeuner mit dem Allerwertesten sitzt die Türklinke zu positionieren, weiß wohl nicht mal das Hämatom, welches nach 2 Tagen an eben diesem Punkt in Erscheinung trat. Ich dachte an die armen Kutscher des wilden Westens und die Zeit des Mittelalters und war dadurch hochzufrieden ob meiner Gesamtsituation.

Planwagen-Urlaub
mit Kindern
in den Vogesen

Eine Ladung besten Lehmmörtels vor dem Wagen

Mit jedem Körperkontakt zu Typee wurden wir mehr und mehr miteinander vertraut und ich genoss das Vertrauen, welches mir dieses große starke Tier zu Teil werden lies. Anstandslos lies sie sich aufzäumen und anspannen und sie meisterte selbst die steilsten Anstiege, wenngleich in mir jedesmal ein sehr schlechtes Gewissen aufkam, wenn sie sich dann sichtlich an ihre Grenzen begeben musste. “Aleee Typee” rief ich immer wieder, um sie zu motivieren, was sie auch dankend annahm jedoch mein schlechtes Gewissen nur größer machte. Unweigerlich kamen Gedanken auf, wie das Ganze wohl dann noch bei 35 und mehr Grad Außentemperatur aussehen würde. Kein einfacher Job also für dieses starke Tier. Davon abgesehen wurden wir alle ein super Team, Cleo und Typee hatten keinerlei Probleme miteinander, wenngleich Cleo sicherlich dachte, Mensch was für ein großer Hund das doch ist und dementsprechend Respekt hatte. Der Blick in die wunderschönen dunklen Augen von Typee war sehr beeindruckend und herzerwärmend zugleich. Wir hielten die Köpfe aneinander und sie genoss es spürbar, wenn ich ihr dabei die Ohren kraulte und dabei mit ihr sprach. Wir hatten uns sehr vertraut wir beiden. Typee machte auch keinen Hehl daraus sich während des Laufens im Takt des Ganges Luft zu verschaffen, beziehungsweise diese durch Anheben den Schwanzes abzustoßen. Es klang so ein bisschen wie ein Einzylindermotor einer meiner Oldtimertraktoren, ratt tatt tatt und wenn sie dann plötzlich und unerwartet selbständig stehen blieb, wurde der Schwanz gänzlich gehoben und eine Ladung besten Lehmmörtels mal eben vor den Wagen platziert, die Duftwolke war als Beigeschenk himmlisch. Ich verstand dann auch, warum sie mein Aftershave welches ich bei der ersten Begegnung noch verwendete, so gar nicht mochte. Nach dieser Lehm-Prozedur ging sie dann ebenso selbstverständlich und selbständig wieder weiter.

So ein Pferd ist nunmal auch nur ein Mensch. Wobei dieser Vergleich sehr hinkt, denkt man manchmal an das was Menschen Tieren antun. So verlebten wir eine wunderschöne von daheim losgelöste Woche als Freizeitzigeuner und ich hatte den Eindruck schon immer dieses Leben geführt zu haben als Nomade inmitten der Natur. Der langsame behäbige Gang von Typee erinnerte mich irgendwie an Beamte einer öffentlichen Kommune, schön langsam aber sicher. Freilich hatten wir wahnsinniges Glück mit dem Wetter, welches nicht hätte besser sein können. Wir hatten 6 Tage strahlend blauen Himmel mit annehmbaren Temperaturen und sehr ruhigen Nächten.

Was für eine Leistung

Alles in allem eine sehr emotionale und erlebnisreiche Woche, die wir wohl nie vergessen werden, weil so einzigartig und neu. Bei allem Schönen darf man jedoch nicht vergessen, was diese Tiere leisten auf dieser Reise, wie oft sie trotz ihrer ungeheuerlichen Kraft an ihre Grenzen kommen und wohl auch darüber hinaus und dass sie einen Wagen bergauf ziehen der schwerer ist als sie selbst. Was für eine Leistung. Nicht immer sind die Menschen mit denen sie auf Reisen gehen intuitiv so gepolt, dass sie wissen, wie sie an welchen Stellen helfen müssen und eingreifen müssen um es den Tieren leichter zu machen. Dafür braucht es neben sehr viel Fingerspitzengefühl auch mächtig an Empathie und Einfühlungsvermögen und grenzenlosen Respekt im Umgang mit diesem wunderschönen starken Geschöpf.

Der Abschied fiel schwer am letzten Tag

Der Abschied fiel schwer am letzten Tag, ein letztes Mal Abspannen und einander berühren und riechen, tief in die Augen sehen und eine letzte Karotte, ein letztes Brot. Ein letztes Mal striegeln und dann der Gang auf die Weide, wo ihre Freunde eine Woche auf sie gewartet haben. Sie stand am Gatter und entgegen meiner Annahme sie galoppiere vor Freude unter lautem Gewieher los in die vermeintliche Freiheit zu ihren Freunden , stand sie immer noch und blickte mir tief in die Augen als wollte sie sagen, schade, es war schön mit Dir, Dankeschön dass Du gut zu mir warst. Wir standen beide noch lange am Gatter und selbst das frische duftende Heu auf der Weide konnte sie nicht zum Gehen bewegen. Ich hatte Tränen in den Augen, der harte Zigeuner war emotional sehr berührt und gerührt zugleich. Das sind Momente im Leben, die einem sagen diese Woche Leben hat sich gelohnt, man ist voller Freude und stolz, dass man einem solchen Tier ein guter Freund und Weggefährte war und man ihm trotz aller Kraftanstrengungen eine ebenso schöne Zeit bescheren konnte. Ich kann mir beim abendlichen Gespräch der Kaltblutbande folgenden Dialog vorstellen: Hi Typee, schön dass Du wieder da bist.Und wie war es mit diesen Leuten, hast Du alles gut überstanden, der Typ sah ja verboten aus und gestunken hat der. Und sie wird sagen: Wir waren ein super Team mein Kutscher, seine beiden Mädels und ich. Er hat mich sehr fürsorglich und als besten Freund mit allergrößtem Respekt unter Anerkennung meiner Leistung behandelt und diese sehr gewürdigt,mit mir mitgefühlt wenn die Steigung mich ganz forderte. Ich spürte seine Empathie und sein Mitgefühl und wir haben es zusammen geschafft, wie Freunde das schaffen. Petra, seine Frau, ist am Hang immer abgestiegen und hat mit geschoben und er hat mir bei den abschüssigen Strecken durch richtiges Abbremsen den Wagen vom Rücken ferngehalten. Er hat mit viel bedacht das Saumzeug angelegt und immer darauf geachtet, dass alles richtig und fest sitzt und nichts scheuert. Die Fellpflege habe ich sehr genossen und das ekelhafte Aftershave dass er am Anfang auf sich hatte, ließ er gänzlich weg, was ihn dann sehr sympathisch machte. Mein Gott hat der gestunken mit dem Zeug. Er hat viel mit mir geredet und ständig nach mir gesehen, leckere Karotten und Brot gab es als Belohnung mal zwischendurch und er schaute immer dass ich frisches Wasser hatte. Ich konnte nach Herzenslust Pupsen und Äppeln, er hatte für alles Verständnis. Er ließ mich Laufen, wenn ich es wollte, um den nächsten Berg mit Schwung zu meistern und gönnte mir Verschnaufpausen, wenn ich nicht mehr konnte. Wasser und Kraftfutter stellte er nicht einfach auf den Boden, nein er hielt mir den Eimer hoch, bis alles leer war und den Rest am Boden des Eimers, den ich schlecht erfassen konnte, gab er mir mit der Hand. Ich werde ihn vermissen, meinen Michel, ebenso seine Frau Petra und Cleo. Ich hoffe auf weitere Menschen wie sie, die uns Tiere so behandeln.

So hoffe ich wird sie von uns reden im Kreise ihrer Freunde und ich bin sicher, alles getan zu haben, dass es für sie gut war. Nur mit diesem Wissen bleibt zu sagen, es war eine sehr schöne Woche mit Natur, Mensch und Tier im Einklang und im gegenseitigen Respekt. Ich denke wir werden uns wiedersehen, wenn nicht in diesem Leben dann in einem anderen, einer anderen Dimension vielleicht, sie als Kutscher, ich als Kaltblut in den Vogesen, oder aber bei uns zuhause wo sie ihren Ruhestand in Würde und Freiheit verbringen kann. Wer weiß.

Michael Kornmann, September 2019

Link zur Reise:
https://www.renatour.de/planwagen-urlaub-frankreich

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