Libellule - unvergessliche Wandertage mit der Eselsdame

    Beatrice O.
    09.08.2016
    Eselwandern im Mercantour-Nationalpark
    4.-11. Juli 2016


    Bereits mehr als fünf Wochen liegt unsere erste Begegnung mit unserer Eselsdame Libellule zurück. Und wir vermissen sie immer noch! Unsere Eselwanderung führte uns in ein abgelegenes Eck in Südfrankreich, wo wir sonst wahrscheinlich nie hingereist wären- aber es hat sich gelohnt!



    Als Familie mit zwei Kindern im Alter von 9 und 11 Jahren machten wir uns zu viert auf den Weg nach Südfrankreich, um sieben Tage mit einem Esel quer im Mercantour-Nationalpark zu wandern. Und dies alleine, d.h. ohne Führer, ausgerüstet mit Wegbeschreibung und Wanderkarte und einem netten Esel, der all unsere Gepäckstücke trug. Gleichzeitig unterwegs war dann auch eine zweite Gruppe (drei junge belgische Lehrerinnen), ebenfalls mit einem Esel (mit dem Namen Kaia), was sich als ganz unterhaltsam herausstellte, konnten wir einander doch ein wenig aushelfen mit den Eseln, plaudern und abends mal zusammensitzen und etwas trinken.



    Aber jetzt von Anfang an: Schon die Anfahrt war spektakulär und abenteuerlich. Anfangs noch auf der Autobahn, dann auf zweispurigen Landstrassen, später auf einspurigen, kurvigen Strassen dem Fluss Var entlang, ging es immer weiter ins Tal hinein. Beim Abzweiger Richtung Villeplane muss man schon zweimal hinschauen, um sicher zu gehen, dass man wirklich dieses Strässchen hochfahren soll (und man hofft auf keinen Gegenverkehr, ist es doch ziemlich schmal und steil). Nach ca. 10km kamen wir im Dörfchen Villeplane an, welches sich aus wenigen Häusern zusammensetzt. Die Ecogîte ist nicht zu verfehlen, denn die Strasse hört dort einfach auf... Der Empfang war sehr freundlich, die Zimmer sauber und zweckmässig eingerichtet und das erste Nachtessen am gemeinsamen Tisch mit allen anderen Gästen ausgezeichnet.



    Für die Kinder anfangs noch gewöhnungsbedürftig - es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Aber auch die Jüngsten der Familie gewöhnten sich bald daran und waren nach einem langen Tag auf den Beinen auch entsprechend hungrig.



    Am nächsten Morgen, unserem ersten Wandertag von insgesamt sieben Tagen, wurden wir ca. 1km von der Ecogîte entfernt bei der Esel-Heimstation instruiert und für die nächsten Tage "Esel-fit" gemacht. In englischer Sprache wurde der speziell gebaute Sattel für die Packtaschen, die Gurten, die Salben usw. erklärt. Auch wie der Esel zu führen ist (wichtig v.a. beim bergab laufen!), was er frisst und was er sonst noch gerne hat wurde uns erläutert. Geduld beim Bepacken des Esels war immer gefragt, allein schon das Straffen der Gurten brauchte seine Zeit, v.a. wenn Libellule den Atem anhielt, damit nicht zu eng angezogen wurde - das rächte sich dann natürlich, weil später alles ins Rutschen kam. Aber wir waren gewarnt!



    Libellule war eine geduldige, unempfindliche, pflegeleichte und freundliche graue provenzalische Eselsdame, die in angenehmem Marschtempo unser Gepäck während sieben Tagen durch den Mercantour-Nationalpark trug. Morgens wurde sie jeweils gestriegelt und bepackt, mit einem Mittel gegen lästige Fliegen und Bremsen eingecremt und dann ging es auch schon los. Klingt einfach, aber die Packerei und das Beladen dauert seine Zeit. Vom Aufstehen, Frühstücken, Esel von der Koppel holen und alles vorbereiten und beladen bis zum Abmarschieren dauerte es normalerweise locker 1.5-2 Std?.



    Generell ist es von Vorteil, wenn man die französische Sprache einigermassen beherrscht. Es ergeben sich immer wieder nette Gespräche mit den Gastgebern der Herbergen oder auch unterwegs - wobei wir viel alleine gewandert sind und kaum jemandem begegneten.



    Rückblickend waren die ersten beiden Wandertage die anstrengendsten. Einerseits hat dies wohl auch damit zu tun, dass wir uns auch erst an Libellule gewöhnen, d.h. den Umgang mit dem Esel lernen mussten. Sie hat ganz schnell begriffen, wer in unserer Familie strenger mit ihr umgeht und bei wem sie nebenbei am Wegrand die feinen Gräser und Kräuter naschen konnte. Andererseits sind uns die ersten beiden Tage wohl auch deshalb als anstrengend in Erinnerung, weil unsere Lauf-Kondition erst langsam aufgebaut werden musste. Das merkten wir gegen Ende der Woche, als auch steile Stücke aufwärts praktisch kein Problem mehr darstellten und niemand gross ins Schnaufen kam. Die Wanderung wird als geeignet für lauffreudige Kinder ab 6 Jahren beworben - da müssen die Kinder aber wirklich lauffreudig und wandererfahren sein. Unsere Kinder sind 9 und 11 Jahre alt und wir hätten die Wanderung kein Jahr früher machen wollen.



    Die Streckenführung und Einteilung der Marschrouten sind sehr gut. Es bleibt immer genug Zeit für eine längere Mittagspause oder sonstigen Pausen - wenn sich denn ein flaches Plätzchen findet, wo auch der Esel gut stehen kann und angebunden seine Ruhe hat. Einige Male waren wir sogar schneller am Ziel, als die Zeit gemäss Plan angegeben war. So konnten wir die Gegend um das neue Gasthaus erkunden, beispielsweise die Tiere auf dem Bauernhof anschauen und füttern, Spiele spielen, Wanderstöcke schnitzen usw. Langweilig war es überraschenderweise nie.



    Die Picknick-Tasche, die wir am ersten Tag gut gefüllt mitbekommen haben, durften wir in jedem Gasthof abends abgeben und erhielten sie wieder frisch gefüllt am nächsten Morgen zum Zeitpunkt des Abmarsches. Für Fleischliebhaber sind die Picknicks nicht unbedingt gedacht, waren es doch mehrheitlich eher vegetarische Salate mit Reis, Nudeln usw., ab und zu mal Sandwiches, Käse und Brot, immer Früchte und Riegel, aber auch mal Schokolade, die eingepackt wurden. Abends jedoch gab es sowohl Vorspeisen, Hauptgänge mit reichlich Fleisch und Desserts, dazu einen Krug des Hausweins. Das Abendessen war immer ein Highlight!



    Es war schon fast zum Ritual geworden, nach der Ankunft bei der nächsten Gaststätte ein kühles Bier zu trinken - und für die Kinder gab es einen Sirup oder ein Eis. Alle Gasthöfe sind auch per Auto erreichbar (Gepäck kann ja auch per Auto transportiert werden, wenn man keinen Esel dabei hat) und gegen Bezahlung gibt es natürlich alles. Die Gastgeber waren alle ausnahmslos freundlich und auch mal für einen Schwatz aufgelegt - oder haben auch mal selbst mit einem Bier angestossen.



    Obwohl man teilweise einige Zeit wandert, ohne andere Menschen zu treffen, muss man sich keine Sorgen machen, dass man mit der Wegbeschreibung oder den Wanderkarten nicht zurechtzukommt oder sich verlaufen könnte. Die Reiseunterlagen sind sehr gut zusammengestellt und die Beschilderung der Wege (gelbe Markierungen an Bäumen, Steinen usw.) sowie die nummerierten Wegpfosten sind ausgezeichnet. Auch die Angaben bezüglich Zeit usw. stimmen mehrheitlich mit der Realität überein. Dass wir auch einmal schneller am Ziel waren hängt wohl damit zusammen, dass unsere Kondition mit jedem Tag besser wurde? Wichtig ist es auf jeden Fall, die Wanderkarten/Beschreibungen in der Hand oder im eigenen Rucksack zu tragen und auch ein Handy in Griffnähe zu haben - falls der Esel mit dem Gepäck mal abhaut?



    Die Wanderungen führten durch Wiesen, wo die Gräser und schönsten Blumen hüfthoch standen und man kaum mehr den Weg sah, durch schöne Wälder gemächlich bergauf/bergab, über kleine Bäche und an Wasserfällen vorbei, immer weiter hinauf ins Gebirge, oberhalb der Baumgrenze bis zum Col de la Cayolle und dem Lac d Allos - das war landschaftlich wirklich sehr abwechslungsreich! Erstaunlich war für uns, wie trittsicher sich Esel auf schmalen Wegen und über extrem steiniges Terrain bewegen ? manch einer von uns hätte sich manchmal auch vier Beine gewünscht!



    Alles hat wunderbar geklappt und wir wurden pünktlich am siebten Wandertag um 17 Uhr beim Treffpunkt abgeholt. Nicht ohne vorher von Libellule Abschied zu nehmen und sie noch mit ein paar Resten unserer Riegel und Äpfel zu füttern. Die Rückfahrt nach Villeplane nahm ca. eine Stunde in Anspruch. Wir haben dort noch einmal in der Ecogîte übernachtet, was wir jedem empfehlen würden. So lässt sich diese schöne Tour gemütlich ausklingen und man kann am nächsten Tag entspannt die Heimfahrt antreten.



    Überlegenswert wäre es allenfalls, eine weitere Familie mit Kindern mitzunehmen, um noch mehr Abwechslung und Unterhaltung zu haben. Wir konnten sie zwar nicht direkt fragen, aber nehmen an, dass es auch für die Esel lustiger wäre, wenn sie zu zweit oder dritt laufen könnten. Dies mussten wir nämlich feststellen, als Libellule beschloss, dass sie der anderen Eselsdame Kaia folgen und mit ihr laufen wolle - und wir ihr scheinbar zu langsam waren. Zu unserem Schreck zog sie alleine von dannen, als wir nicht genug aufpassten und das Führungsseil einmal kurz losliessen? Die zweite Personengruppe, unsere lustigen belgischen Lehrerinnen mit der Eselin Kaia, die auch am selben Tag wie wir gestartet waren, wurden überrascht, als Libellule auf einmal herrenlos bei ihnen aufkreuzte. Aber wir haben dann alle wieder zueinander gefunden und hatten eine weitere Episode zu erzählen?



    Würden wir solch speziellen Urlaub noch einmal machen? Auf jeden Fall!