Genusswandern im Piemont

    Thomas P.
    06.07.2009
    Piemonte (deutsch: am Fuß der Berge) klang für mich schon immer verheißungsvoll: Als am Fuß der bayerischen Voralpen Geborener liebe ich solche Landschaften. Da auf der südlichen Alpenseite noch mehr Sonne, mediterranes Klima und Kultur zu erwarten sind, verbrachte ich kürzlich im Frühsommer eine Woche mit Genusswandern auf alten Kulturwegen.Diese „sanften“ Tourismusangebote sollen auch das lange Zeit unter Entvölkerung leidende „Valle Maira“ wiederbeleben – ein weitverzweigtes Talnetz mit dem Hauptfluss Maira, ganz im Südwesten des Piemont an der Grenze zu den französischen Alpen gelegen. Ähnlich wie in anderen Alpentälern zwangen die kargen Lebensbedingungen die Einwohner schon lange dazu, sich außerhalb Arbeit zu suchen. Mit der Industrialisierung waren neue Arbeitsplätze auch in der Provinzhauptstadt Turin (Fiat) entstanden, was zu einem massiven Exodus führte: die zehn Talgemeinden verloren in den letzten 70 Jahren mehr als 80 Prozent ihrer Einwohner (von 10.000 auf 1.700). Das Valle Maira ist auch die Ostgrenze der okzitanischen Sprachregion. Mit zweisprachigen Ortsschildern und vielen Plakaten macht sich eine rührige Anhängerschaft für diese regional eigenständige Sprache und Kultur stark.Unser Ausgangspunkt für die einwöchige „Genusswanderung“ war San Martino, ein „Adlernest“ (s. Foto). Dort lag unser erster Posto Tappa (das sind Wanderstationen unterschiedlichen Komforts, stets aber mit hervorragender Küche). Diese Station führt Maria Schneider, einer Kölnerin und Pionierin des sanften Tourismus. Seit 1979 lebt sie hier und trägt viel zur Wiederbelebung des Tals bei. Zum Glück ist der massive Bevölkerungsschwund dank des Tourismus zum Stillstand gekommen, zumindest die Zweitwohnsitze nehmen wieder zu. Im Winter verlassene Siedlungen wie Pratorotondo (s. Foto) fand ich im Sommer belebt von vielen Sommerfrischlern und Bauhandwerkern – Leute aus den Städten der Region, die hier ihre familiären Wurzeln haben und/oder ihr Feriendomizil errichten. Meist tun sie das geschmackvoll in traditioneller Granitstein-Bauweise. Auch das anmutig im Talschluss liegende Dörflein Cialvetta (s. Foto) beherbergte im Winter nur sieben Einwohner – im Sommer leben jetzt wieder einige Dutzend hier, vor 100 Jahren waren’s 500 Einwohner!Anmutige Wege und Pfade verbinden seit Generationen die Dörfer und Weiler, bevor es Autostraßen gab. Jahreszeitlich wechselnde Blumen- und Pflanzenpracht mit unvergleichlicher Vielfalt und Üppigkeit, im Herbst taucht der Wanderer ein in goldgelb schimmernde, lichte Lärchenwälder. So ist das Wandern selbst schon ein Genuss, in lieblicher bis hochalpiner Landschaft, ohne Gepäck, das transportiert der „Sherpabus“. Aber es ist nicht der einzige Genuss dieser Wanderwoche.Ein „Kulturzentrum“ oben auf 1200m Seehöhe ist Elva mit einer prächtigen Dorfkirche, um 1500 ausgemalt von dem Flamen Hans Clemer, der damit als „Meister von Elva“ in die Kunstgeschichte einging (s.Foto). Jüngeren Datums ist das dortige „Haarmuseum“ – Elva war bis in die 1930er Jahre ein Zentrum dieser Heim-Industrie. Aus ganz Oberitalien wurden Haare, bevorzugt lange Zöpfe in schwarz oder weiß, hierher gebracht und zu Perücken verarbeitet. Zur Kultur gehört auch gutes Essen, wobei die ursprünglich bäuerlich einfache Küche verfeinert wurde mit vergessenen Zutaten wie Wildkräutern, Wildgemüse und Pilzen. Wir genossen etwa ein hervorragendes Brennessel-Pesto mit erntefrischen und soeben am Dorfbrunnen gewaschenen Zutaten.Thomas Pensler, 06.07.09